Jeder Autor kennt ihn. Und das mag erstaunen, denn schliesslich ist Schreiben ihr „Beruf“. Über das Stadium „Ich würde gerne ein Buch schreiben und hab viele tolle Ideen, aber wenn ich dann anfangen will, weiss ich nicht wie“ sollten sie also längst hinaus sein – könnte man meinen. Die Rede ist vom Fluch der leeren Seite. Oder der Angst vor dem weissen Blatt. Und ja, auch und gerade geübte Autoren kann der Fluch treffen. Denn mit Erfahrung steigt auch der eigene Anspruch an das eigene Werk. Als Beispiel: Beim ersten eigenen Buchbaby ging es vielleicht darum, Spass zu haben und auszuprobieren. Beim zweiten möchte man sich natürlich verbessern. Beim dritten … Ihr merkt, worauf ich hinaus will: Anfänge sind nicht leicht – und werden auch nicht leichter, je öfters man den kritischen Punkt des Anfangs überschritten und in die Geschichte eingetaucht ist. Der Kampf gegen den Fluch der leeren Seite beginnt mit jedem Manuskript von vorne.

Warum Fällt der Anfang des Schreibens schwer?

Früher ging’s doch einfach los. Rede ich mir im Nachhinein einfach ein. Früher, so erinnere ich mich, damals als Teenie-Mädel mit Stift und Notizbuch, damals kotzte ich alles aus. Der Anfang eines Textes war entweder ein Gedanke, der sofort aufs Papier musste, oder einfach das rasche Vorbereiten auf eine Szene, die ich eigentlich schreiben wollte, die aber einen Anfang brauchte. Ein Wort. Mehrere Wörter. Ein Satz. Und schon flutschte das Buch. Heute ist das anders. Meine Gedanken sind trotz all der tollen Ideen gelähmt, meine Finger tippen und löschen im Akkord. Die Seite bleibt am Ende leer. Warum erwischt mich jedes Mal der Fluch der leeren Seite?

Für mich gibt es drei Gründe:

1) Anspruch: Man möchte sich natürlich verbessern. Und das beginnt schon beim ersten Satz.
2) Erfahrung: Mit höherem Lese- und Schreibalter hat man schon viele gute und schlechte Anfänge gesehen. Das erhöht natürlich den Anspruch, etwas Vergleichbares wie die eigenen Lieblingsautoren zu schaffen.
3) Wissen: So ein Germanistikstudium bringt es mit sich, dass man das Thema Anfänge auch mal auf einer Meta-Ebene betrachtet. Tja. Und jetzt denk ich "Soll ich es klassisch angehen oder doch eher so wie Max Frisch?", statt einfach zu schreiben.

Mehr dazu, auf welche Art man ein Buch beginnen kann, erzähle ich euch in diesem Beitrag „Aller Anfang ist schwer“. Aber Achtung: Wissen bringt grosse Verantwortung, hust, hust. Ich hab euch gewarnt, falls euch der Fluch packt.

Die Beste Medizin: So kämpf ich gegen den Fluch an

Auch als Berufsschreiber hab ich täglich mit der Angst vor dem weissen Blatt zu tun. Wie anfangen, von der gestrigen Gemeindeversammlung zu berichten? Wie den Leser auf eine neue Versicherungslösung aufmerksam machen, von der er erst verstehen muss, wie sie funktioniert? Wenn man als Texter arbeitet, entdeckt man schnell den Vorteil an der ganzen Sache: Man muss etwas abliefern. Und zwar innerhalb einer beschränkten Menge an Zeit. Das heisst, mir fehlt die Gelegenheit, an mir und meinem Text ständig zu zweifeln, denn irgendwann muss was kommen. Ich bin gezwungen zu schreiben. Und das ist die beste Medizin gegen den Fluch der leeren Seite. Meine Strategie sieht also so aus, dass ich einfach mal starte und losschreibe. Vielleicht einfach einen Platzhalter setze à la „Hier steht der erste Satz“. Denn ab dann ist das Blatt nicht mehr leer und der Fluch gebrochen. Gefällt mir etwas nicht, lass ich es stehen und lösche es nicht gleich, sondern schreibe oben oder unten weiter. Irgendwann ergibt sich ein ganzes Bild und ich kann Unnötiges löschen. (So ist übrigens auch dieser Artikel entstanden). Das ist eine Technik, die ich mir vom grössten aller Schriftsteller abgeguckt habe: dem genialen Hildegunst von Mythenmetz. Der vom Orm geküsste Schreiber erzählt in seinen Memoiren „Die Stadt der Träumenden Bücher“ (übersetzt von einem Typ namens Walter Moers):

Es funktioniert wie eine Zauberformel, und ich glaube manchmal, daß es tatsächlich eine ist. Und wenn er nicht das Werk eines Zauberers ist, dann zumindest der genialste Satz, den jemals ein Dichter ersann. Der Satz lautet: „Hier fängt die Geschichte an.“ (S.28-29)

Der Satz mag nicht originell sein, nicht legendär (ausser bei Moers), aber er bricht den Fluch. Und anders als Hildegunst wird bei mir der Platzhalter am Ende meist weggelöscht. Ich habe festgestellt, dass ich so einen wenig originellen, aber weitertreibenden Satz auch immer wieder während der Geschichte einbaue. Bei mir heisst es dort lapidar: „Dann geschah es.“ Seit mir meine inflationäre Verwendung der Phrase aufgefallen ist, entdecke ich sie überall dort, wo ich eine Zeit lang nicht weiterkam. (Ich gelobe Besserung 🙂 )

Kennt Ihr den Fluch? Eure Tipps?

Nun bin ich natürlich darauf gespannt, von euch zu erfahren, wie ihr den Fluch erfahren habt und wie ihr ihn überwindet. Ganz liebe Grüsse, eure Bettina